Software-optimierte Produktionsprozesse bei BioNTech

Forschende des Fraunhofer ITWM entwickeln Plattform für die Planung und Koordinierung der Medikamenten- und Impfstoffproduktion von BioNTech

Seit das Mainzer Unternehmen den ersten breit zugelassenen Impfstoff gegen COVID-19 entwickelt hat, ist der Name BioNTech allgemein bekannt. Das eigentliche Anliegen der BioNTech SE ist die Entwicklung einer individualisierten Therapie für Krebspatientinnen und -patienten. Für beide Anwendungsfälle – der Herstellung der individuellen Krebsmedikamente sowie des Corona-Impfstoffs – haben Forschende des Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM eine Software-Plattform entwickelt, mit der man den Produktionsprozess effektiver steuern kann. 

In Zukunft sollen immer mehr Patientinnen und Patienten mit individuellen Medikamenten und maßgeschneiderten Therapien behandelt werden. Die individuelle Medikamentenherstellung muss trotz der vielen verschiedenen Variationen sicher und kostengünstig sein sowie in einem industriellen Maßstab umgesetzt werden. Außerdem muss die Produktion möglichst schnell sein, denn niemand sollte lange auf seinen individuellen Wirkstoff warten.

Die Herstellung individualisierter Medikamente unterscheidet sich grundständig von den etablierten Prozessen in der Pharmaindustrie. Die Besonderheit liegt zunächst darin begründet, dass jede Charge für eine Person hergestellt wird. Qualitätsprobleme kommen dadurch eine viel höhere Relevanz, da man nicht auf vorproduziert Pufferbestände zurückgreifen kann. Auch sind die Chargen um etliche Größenordnungen kleiner, was neue Anforderungen an Geräte und Prozess stellt. Vielfältige neuartige Fragestellungen erfordern also neue Ansätze der Produktionsorganisation und -planung.

ITWM-Team entwickelt individuell zugeschnittene Lösung

Individuelle Krebstherapie sowie der erste breit zugelassene Impfstoff gegen COVID-19, beide basierend auf mRNA – dafür steht die BioNTech SE in Mainz. Eine Plattform zu entwickeln, die die Prozesse der BioNTech plant und koordiniert, ist die Aufgabe des Teams um Dr. Heiner Ackermann, stellvertretender Abteilungsleiter der »Optimierung – Operations Research« am Fraunhofer ITWM.

Zunächst mussten dazu die Vorkenntnisse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei BioNTech mit denen der ITWM-Forschenden zusammengeführt werden. »Eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Prozessverständnis zu finden, war ein wesentlicher Teil unserer Arbeit«, so Ackermann. Es folgten die Modellierung, Strukturierung und Analyse von Daten und Prozessen. Am Ende stand eine Software, mit der man die Herstellungsprozesse der einzelnen Medikamente planen und organisieren kann und die eine Fertigstellungsprognose für die jeweiligen Patientinnen und Patienten liefert.

Modellierung und Simulation als Grundlage für die Software-Entwicklung

Grundlage für die Arbeiten des Teams ist die Expertise des ITWM in den Bereichen Modellierung und Simulation. »Wir haben viel Erfahrung darin, die individuellen Herausforderungen von Produktionsprozessen zu analysieren. Darauf aufbauend entwickeln wir Konzepte, wie die jeweiligen Abläufe optimiert und besser gesteuert werden können. Anschließend erstellen wir digitale Zwillinge der Prozesse und simulieren das Zusammenspiel der verschiedenen Aspekte, um die Konzepte zu bewerten«, erklärt Ackermann die Hintergründe der Entwicklungsarbeit.

Automatisierte Prozesse für steigende Produktionszahlen

Einige onkologische Produktkandidaten von BioNTech befinden sich bereits in fortgeschrittenen Entwicklungsphasen und werden bald in zulassungsrelevante Studien überführt. Die Herstellung für den kommerziellen Vertrieb wird bereits heute vorbereitet. Dies hat auch Einfluss auf die Planungsprozesse: Sie müssen mitunter angepasst und erweitert werden, insbesondere in Hinblick auf eine stärkere Automatisierung. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits. »Bei ein paar Hundert Patientinnen und Patienten ist manuelles Eingreifen in den Prozess noch möglich. Dies wird bei Tausenden Patientinnen und Patienten nicht mehr möglich sein. Automatisierte Prozesse und zusätzliche Möglichkeiten der Entscheidungsunterstützung können da erforderlich sein«, beschreibt Ackermann die Vorteile eines automatisierten Planungsablaufs.

COVID-19-Impfstoff von BioNTech
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Die Forschenden des Fraunhofer ITWM passen die Software kontinuierlich an die sich wandelnden Anforderungen bei der Impfstoffproduktion an.

Und dann kam Corona

Mit dem Beginn der Corona-Pandemie nutzt BioNTech seine Expertise zu mRNA-basierten Krebsmedikamenten auch für die Entwicklung eines Impfstoffs. »Aus einem Zeitungsartikel habe ich erfahren, dass BioNTech plant, einen Impfstoff zu entwickeln. Kurz darauf fragte das Unternehmen bei uns an, um gemeinsam an neuen Software-Lösungen zu arbeiten. Da brach bei mir kurz das Chaos aus, aber natürlich haben wir uns an die Arbeit gesetzt«, blickt Ackermann zurück.

Im Gegensatz zur Krebstherapie müssen bei der Impfstoffproduktion nicht die individuellen Merkmale der Patientinnen und Patienten angenommen werden. Der Herstellungsprozess des Impfstoffs ist daher deutlich weniger komplex als der für die individuellen Krebsmedikamente. Kritisch sind hierbei die Produktionskapazitäten für die hunderte Millionen an Impfdosen, die erforderlich sind. Die Lösung ist die Zusammenarbeit von BioNTech mit Lohnherstellern, die auf bestimmte Prozessschritte spezialisiert sind.

Das Fraunhofer ITWM und BioNTech haben eine Software aufgebaut, mit der das Unternehmen das Produktionsnetzwerk und die einzelnen Prozessschritte planen, koordinieren und dokumentieren kann. »Nun arbeiten wir daran, die Plattform an die immer wieder neuen Anforderungen anzupassen. So wie sich der Produktionsprozess weiterentwickelt, entwickeln wir auch die Plattform weiter «, beschreibt Ackermann die weiterlaufende Zusammenarbeit.